[:de]Quälend lange dauert der Prozess zur Aufklärung der Morde der rechten Terrorgruppe NSU bereits. Die jahrelang stoisch schweigende Beate Zschäpe hat sich ins Unterbewußtsein vieler Nachrichtenkonsumenten gebrannt. Jetzt wird bald das Urteil über sie gefällt. Doch wir wissen trotz intensiver Nachforschungen noch immer fast nichts über die Hintergründe der Hinrichtungen, bei denen Menschen mit türkischen, griechischem und deutschem Namen von dieser faschistischen deutschen Terrortruppe exekutiert wurden. Nur durch einen Zufall, der Beobachtung eines Rentners, kamen die Täter überhaupt erst 2011 – vier Jahre nach dem letzten der zehn Morde – ins Visier der deutschen Ermittlungsbehörden. Zuvor hatte schlicht keiner der professionellen Aufklärer nach Tätern in der rechten Szene gesucht.
Doch was bleibt nach langen Jahren von diesen Taten?
Zehn von Rechtsradikalen getötete Menschen zwischen 2000 und 2007 – in Dortmund, Hamburg, Heilbronn, Kassel, Köln, München, Nürnberg, Rostock. 22 Menschen wurden zudem verletzt, vier davon schwer. Alle Opfer waren unbekannte Menschen, keine im Blickpunkt stehende Prominenz wie es die Opfer der RAF in den 70ern waren. Keine ehemaligen Nazis wie etwa der von der RAF entführte und exekutierte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, sondern kleine Selbstständige, die nicht ins Weltbild der fanatischen „Lumpenarier“ (Feridun Zaimoglu) aus der ehemaligen DDR passten. Sie wurden Opfer, bloss weil sie die falschen Namen trugen. Es gab keinen anderen Grund für ihren Tod als Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Und diese Namen, die Namen der zehn Opfer, drohen vergessen zu werden:
Enver Simsek (38)
Abdurrahim Özüdogru (49)
Süleyman Tasköprü (31)
Habil Kilic (38)
Mehmet Turgut (25)
Ismail Yasar (50)
Theodoros Boulgarides (41)
Mehmet Kubasik (39)
Halit Yozgat (21)
Michèle Kiesewetter (22)
Damit nichts vergessen wird, hat sich die Fotografin Regina Schmeken aufgemacht, und alle Tatorte zumindest zweimal besucht, um dort die Situation Jahre nach den Morden fotografisch zu dokumentieren. Unterstützt wurde sie dabei vom Militärhistorischen Museum in Dresden, einer Einrichtung der Bundeswehr, das ihr den Auftrag dafür gab. Regina Schmekens bildkompositorisch klar strukturierte SchwarzWeiss Fotos zeigen leere Alltagsorte aus der Froschperspektive. Sie wirken auf unspektakuläre Weise bedrohlich und setzen sich im Unterbewusstsein fest.
Meist von unten belichtet die vielfach ausgezeichnete, bereits 2013 mit Unter Spielern – Die Nationalmannschaft im Martin Gropius Bau präsente Fotografin nichtssagende, schweigende Alltagstristesse. Nichts Besonderes zieht unser Auge bei der Betrachtung der einzelnen, im fast schwarzen Raum an den Wänden hängenden großformatigen Fotografien an. Genau dieser Widerspruch zwischen dem Wissen um die dort geschehenen Verbrechen und der banalen, von Regina Schmeken perfekt in Szene gesetzten Wirklichkeit ist bedrückend. Beklemmend sogar, denn gerade die Banalität dieser zehn Tatorte lässt das Bewusstsein wach werden, dies könne überall zu jeder Zeit wieder geschehen. In Zeiten sich im deutschen Mainstream festsetzender rechter Ideologie ist dies alarmierend.
Das Beklemmendste an diesen Fotografien ist, dass auf ihnen weder die Mörder noch die Mordopfer zu sehen sind. An Schmekens Aufnahmen wirkt gerade das Unauffällige, Banale und Gewöhnliche unheimlich. (Hans Magnus Enzensberger)
Was bleibt also von diesen zehn NSU Morden? Sicher, eine grandiose und immens wichtige Ausstellung. Doch darüber hinaus wohl auch ein tiefes Misstrauen gegen die Ermittlungsmethoden der deutschen Behörden. Transparent ist anders, das ist in vielen Köpfen hängengeblieben. Was bleibt ist das Bewusstsein, dass auffällig viel Energie eingesetzt wurde, zu vertuschen und zu verschweigen. Das Thema Zschäpe ist zwar omnipräsent auf allen Kanälen, doch zu den Hintergründen, der notwendigen Logistik, der personellen Vernetzung dieses radikalen rechten Terrorvereins NSU wird auffällig wenig publiziert. Was bleibt ist trotz Medienhype ein großer Verdrängungsprozess in weiten Teilen der deutschen und v.a. der türkischen Öffentlichkeit, da eine Auseinandersetzung mit den zehn Morden und den Methoden ihrer Aufklärung schwere Zweifel an der Funktionsfähigkeit des deutschen Rechtsstaates aufkommen lassen könnten. Doch wenn Zweifel bleiben, ob der NSU von staatlichen Stellen gedeckt, finanziert oder auf eine andere Weise unterstützt wurde, bleibt eben auch die Befürchtung, deutsche Institutionen könnten rechts unterwandert sein.
Zusammen mit dem Konfrontationskurs Erdogans ergibt sich in Deutschland eine seltsame Frontlinie: In den deutschen Mainstream einsickernde ausländerfeindliche Ideologie, deren Begriffe und Rhetorik immer weniger hinterfragt werden, trifft auf in Deutschland geborene, im türkischen Nationalismus schwelgende Erdoganjünger. Vorurteile aller Welten, trefft aufeinander und potenziert euch! Diese Situation könnte die Grundlage des Zusammenlebens in Deutschland schwer erschüttern. Vielleicht deshalb wird der NSU bei den Medien in die Homestory Kategorie gesteckt: Zschäpe als einziges Gesicht der NSU, ihr allein wird der Prozess gemacht. Nach dem Urteil ist das Thema vorbei, erledigt, abgehakt. Und nach zehn Jahren ist sie wieder raus. So what? Lieber verdrängen, als bewusst mit dieser Situation umzugehen, scheint die Devise zu sein.
Regina Schmeken im TV Interview
Katalog zur Ausstellung
Hatje Cantz Verlag GmbH
Deutsch, 144 S., 80 Abb.
Buchhandelsausgabe: € 35
ISBN 978-3-7757-4158-3
Noch bis zum 29. Oktober 2017 im Martin Gropius Bau in Berlin
Hintergrundinformationen zum NSU Prozeß:
„Der NSU-Komplex gleicht einem wachsenden Gebirge. (…) Je mehr man weiß, desto undurchschaubarer wird alles. Die Geschichte des NSU-Mordkomplexes ist die einer doppelten Vertuschung. Zuerst, vor dem 4. November 2011, sollten die Täter nicht gefunden werden. Dann, nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011, sollen es nur zwei Männer gewesen sein, denen eine Frau geholfen hat…
Thomas Moser, Jahrgang 1958, Journalist und Politologe, hat den NSU-Komplex von Anfang an beobachtet und die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und den Zschäpe-Prozess in München besucht. Er war im Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg Sachverständiger.“
NSU: Die doppelte Vertuschung (telepolis)
„Interner Untersuchungsbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen, der nach dem Auffliegen des NSU und dem Verdacht, der auf das Amt fiel, intern in den Jahren 2012 bis 2014 diesem nachgegangen ist. Entstanden ist ein 250 Seiten umfassender Bericht, der erst zweieinhalb Jahre später, im Juni 2017, öffentlich bekannt geworden ist. Und der nun für 120 Jahre weggesperrt werden soll.“
s. telepolis[:]